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Herr K. hat Geburtstag

An einem verregneten Sonntag Morgen im Mai: Der Frieden im Land ist Sechzig Jahre alt. Herr K. ist älter. Die Welt dreht sich noch immer. Da klopft es an der Türe des Herrn K. Drei Herren in weißen Anzügen, weißen, frisch gebügelten Hemden, grüner Krawatte und schwarzen Lackschuhen stehen vor Herrn K.’s Tür und bitten um Einlass: „Wir sind vom Komitee zur Erhaltung der Aufrichtigkeit. Sie sind ausgewählt worden, für unser Komitee an diesem, Ihrem Ehrentag, für eine Stunde den Vorsitz zu übernehmen.“ Die geschwellte Brust von Herrn K. wölbt sich den drei weißen Herren entgegen. „Das ist schön. Wo ist die Presse?“ Verwirrt blicken alle drei weißen Herren sich gegenseitig an. „Die Presse?“ fragt der Mittlere erstaunt. „Was hat die Presse damit zu tun?“ Man schweigt sich an. Schließlich beginnt der Linke der drei weißen Herren: „Unsere Organisation hat Sie erwählt, weil wir glauben, dass Sie diesen Posten für diese Zeit optimal ausfüllen. Doch Sie müssen uns einige Fragen beantworten.“ „Gerne!“ lächelt Herr K. und bittet die Gäste, auf dem Sofa platz zu nehmen.

Als die Herren sitzen, blicken sie sich nochmals skeptisch an. Plötzlich beginnt der Rechte: „Was ist in Ihrem Leben das Wichtigste?“ Herr K. beginnt zu strahlen, denn diese Frage erscheint ihm zu leicht für die in Aussicht gestellte Belohnung. „Meine Familie!“ brüstet er sich mit Überzeugung. „Nein!“ widerspricht ihm der Mittlere. Verdutzt blickt Herr K. diese Impertinenz an. „Natürlich, meine Familie!“ verteidigt er seine aufkommenden Zweifel. „Lügen Sie uns nicht an. Wir wissen mehr von Ihnen, als Sie glauben!“ Herrscht ihn der linke weiße Herr an. Herr K.’s Gesicht bekommt eine hellere Färbung. „Nun gut. Das Wichtigste in meinem Leben ist der Kampf für die Gerechtigkeit.“ Dieser Satz verursacht allgemeines Gelächter unter den Herren, das mit Tränen im Gesicht erst nach ein paar Minuten endet. „Gerechtigkeit?“ japst der Rechte nach Luft „Gerechtigkeit für wen?“ „Für die Unterdrückten.“ Rechtfertigt sich Herr K. schnell. Doch er fordert damit nur noch mehr Gelächter heraus. „Die Unterdrückten!?“ prustet der Mittlere und das Gelächter nimmt wieder zu. „Ja, die Unterdrückten!“ langsam wird Herr K. wütend. Die Herren beruhigen sich wieder. „Na, Sie müssen es ja wissen ... als Unterdrücker.“ Die Lage wird plötzlich ernst und Herr K. sieht seinen glorreichen Posten davonschwimmen. „Ich unterdrücke nicht!“ „Ah, Sie lassen also die Meinung anderer gelten?“ der Mittlere wird langsam ungeduldig. „Natürlich, wenn sie meiner Meinung sind!“ „Nun, lassen wir das,“ lenkt der Linke ein „aber sagen Sie uns jetzt endlich, was für Sie das Wichtigste im Leben ist!“ Herr K. überlegt eine kurze Zeit und entgegnet schließlich fragend: „Der Kampf für eine bessere Gesellschaft?“ „Das klingt gut, aber sagen Sie uns, bitte, was ist eine bessere Gesellschaft.“ Der Mittlere hat ein Notizbuch und einen Bleistift hervorgeholt um sich einige Notizen zu machen. „Eine bessere Gesellschaft ist die, in der es Allen gut geht!“ Herr K. wittert Oberwasser, doch seine Hoffnungen kentern sofort mit der Welle der Empörung, die ihm entgegenschlägt. „Allen?“ „Gut?“ „Auf wessen Kosten?“ schnattern die Herren durcheinander. Es dauert eine Weile, bis sich alle beruhigt haben. Der Linke holt tief Luft und mobilisiert alle Geduld der Welt in seiner Stimme: „Also, Herr K., was ist nun für Sie das Wichtigste in Ihrem Leben?“ Herr K. zögert. „Der Kampf gegen obskure Vereinigungen?“ versucht er es von Neuem. „Na, kommen Sie, Sie können das besser.“ Herrscht ihn der Mittlere an. Herr K. überlegt. „Nun, ab und zu kämpfe ich auch mal gegen mich!“ „Ah!“ entfährt es den drei Herren wie aus einem Munde. Verdutzt blickt Herr K. von einem Gesicht zum anderen. „Wir kommen der Sache jetzt endlich näher!“ freut sich der Rechte. „Sehen Sie, das ist doch gar nicht so schwer!“ bestärkt der Mittlere. „Was ist nun das Wichtigste in Ihrem Leben?“ hakt der Linke nach. Herr K. schüttelt hilflos den Kopf weil er nicht versteht. Vorsichtig hebt er an: „Ich ... äh ...“ Die drei weißen Herren brechen plötzlich in Applaus aus. „Bravo!“ ruft der Mittlere und hakt etwas in seinem Notizbuch ab. „Ich?“ ungläubig blickt Herr K. auf seine Schuhspitzen. Der Linke erhebt sich und tritt an Herrn K. heran, die Hand ausgestreckt: „Wir dürfen Ihnen gratulieren!“ Herr K. erhebt sich, nimmt die ausgestreckte Hand und fragt nervös: „Was ist denn jetzt meine Aufgabe ... und wann beginnt sie?“ Der Rechte blickt auf die Uhr und macht ein ernstes Gesicht: „Ihre Stunde ist rum. Wir dürfen Ihnen nochmals gratulieren, doch Sie müssen entschuldigen, der Nächste wartet.“ Schnell verabschieden sich die Herren und gehen eilig zur Tür hinaus. Herr K. begleitet sie. Auf dem Rückweg ins Wohnzimmer kommt er an einem Spiegel vorbei, streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, bleckt sich die Zähne und denkt: „Mann, war ich wieder gut heute!“

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