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Bin ich dämlich?

Meint: Bin ich eine Dame? Oder eine Frau? Oder ein Weib? Dämlich, fraulich, weiblich? Tatsache ist, dass meine Chromosomen ein XX-Paar aufweisen und dass ich die dazu notwendigen Körperöffnungen besitze. Doch mit meiner Denke ist anscheinend was schief gelaufen.

Angefangen hat es in einer Uniklinik im südlichen Baden-Württemberg. Aufzeichnungen zufolge soll ich bis zu meinem dritten Lebensjahr diverse Kliniken von innen gesehen haben. Wegen einer Polio-Impfung. Da hatten die Kinderabteilungen noch geregelte Besuchszeiten. Sonntags von Zwei bis Vier. Ansonsten übten meist katholische Schwestern die Machtfunktionen aus. Die blonden Mädchen mit ihren langen Haaren wurden gekämmt und verhätschelt, während Anti-Typen wie ich, die mit den Buben und Holztierchen gespielt haben, unter dem Bett auf dem kalten Boden stundenlang angebunden wurden, wenn besagte Holztierchen auf den Boden fielen. Da habe ich zum ersten Mal begriffen, was der Unterschied ist, blauäugig durch diese Welt zu gehen oder in der eigenen Scheiße zu sitzen.

Das hat jedenfalls in späteren Zeiten dazu geführt, dass ich lieber mit den Buben Ritter, Piraten, Eisenbahn oder Autorennen gespielt habe, als mich um die Puppen zu kümmern, die mir meine Tanten geschenkt haben, damit aus mir ein braves Mädchen wird. Eine Puppe war irgendwie so gar keine Herausforderung. Man konnte ihr die Haare abschneiden, ihr mal ein anderes Kleid anziehen und sie war in ihren Bewegungen wesentlich eingeschränkt. Ich besaß eine höchst bemerkenswerte Sammlung an Barbiepuppen mit ausgerissenen Armen, Beinen und meist kahlen Köpfen sowie zerschnittene Puppenkleidern aller Art. Eigentlich wollte ich eine Carrerabahn, ein BMX-Rad, eine Eisenbahn oder eine Dampfmaschinen, doch jedes Weihnachten, jeden Geburtstag, jedes Osterfest das Gleiche: Eine Puppe oder die dazu gehörigen Utensilien. Die obligatorische Aussteuer zur Konfirmation schlug dabei dem Fass den Boden ins Gesicht. Bettwäsche, Handtücher, Geschirr und Besteck anstelle eines Mofas.

Dazu bin ich noch ein Opfer der Mondlandung, von Raumschiff Enterprise und dem Alt-68’er-Aberglauben, dass jeder Mensch – egal ob Mann oder Frau – in dieser Welt etwas erreichen kann.

Ebenso hat meine Erziehung versagt. Aus dem Kind soll mal was werden! Wenn schon der Zwillingsbruder bei der Geburt verstorben ist, soll eben das Mensch in der Werkstatt helfen. Oder im Garten. Natürlich auch im Haushalt. Und nähen soll sie können. Dazu Musik und vor allem soll sie etwas lernen, was sie gebrauchen kann. Tja! Lobenswerte Vorstellung. Ich habe sehr schnell lernen müssen, was ich in diesem Leben nicht gebrauchen kann. Filzläuse fangen. Die Erziehung hängt nicht alleine von den Eltern ab. Die Schläge ob dieser Erkenntnis über einer Kohlenkiste mit einem Gürtel auf den nackten Hintern dafür schon. Meiner Cousine schien es wesentlich mehr Spaß zu machen, mit männlichen Extremitäten unter dem Tisch zu spielen. Ich wusste – vier Jahre jünger – damit noch nicht recht was anzufangen und sehnte meine Schere herbei. Das würde eine schöne Trophähe für meine Sammelkiste abgeben.

So kam es denn, dass ich aus einer gewissen Distanz die gesellschaftliche Formung des Weiblichen beobachten konnte. Ich zog mich zurück und es hat auch nie jemand geschafft, mich da mit hinein zu ziehen. Zieh dir doch mal einen Rock an. Der Rock kann ruhig etwas kürzer sein. Es wird Zeit, dass wir dir einen BH kaufen. Kuck Mal, der sitzt doch toll. Da werden die Männer Augen machen. Geh zum Frisör und lass dir die Haare aufhellen. Sind das nicht schöne Schuhe? Der Nachbarsjunge ist doch ganz niedlich. Warum lässt du dir von dem nicht mal deinen Schulranzen nach Hause tragen? Der kann dich doch mal zur Kirmes einladen. Von solchen Sprüchen blieb ich in der vorpubertären Phase von meinen Erziehungsberechtigten zum Glück verschont. Die hatten genug eigene, existentielle Probleme: Wo krieg ich was zu vögeln oder was zu saufen her? Wen kümmern da schon so überflüssige Dinge, wie der eigene Nachwuchs.

Dann kam der große Tag, an dem das Blut floss, ohne dass ich mich verletzt hatte. Die Zusammenhänge hatte ich zwar gelernt, aber noch nicht begriffen. Hatte Angst. Traute mich nicht nach Hause. Kam doch an und lernte wieder. Lernte, was es heißt, die blutige Unterhose ins Gesicht geschmiert zu kriegen mit dem entsetzten Aufschrei: „Sieh her, du Schwein, was du gemacht hast!“ Das hat man mir über das Weibliche beigebracht. Nicht, wie man Männer benutzt oder erzieht. Sie manipuliert oder vorführt. Sie in den Griff kriegt, damit sie alles für einen tun. Für mich waren und sind Männer immer gleichwertige Partner mit einer eigenen Meinung und einem eigenen Verstand (auch wenn ich davon meist nie viel gehalten habe oder halte). Nein, ich bin nicht dämlich. Und ich bin stolz darauf, ein Mensch zu sein.

YouTubeLink - Alice Cooper - Ballad of Dwight Fry

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