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Goethe vs. Brecht

Oder: Was wir aus der Realität lernen können.

Iphgenie
Denken die Himmlischen

(sonst keiner!)
Einem der Erdgebornen

(dem Auserwählten)
Viele Verwirrungen zu,

(oh, böses Leben!)
Und bereiten sie ihm

(Fauler Hund!)
Von der Freude zu Schmerzen

(Alles parat)
Und von Schmerzen zur Freude

(und zurück zum Ausgangspunkt)
Tief erschütternden Übergang:

(Nun, er sollte es zumindest merken)
Dann erziehen sie ihm

(Sonst bleibt der Verstand fern von ihm)
In der Nähe der Stadt,

(und meist woanders)
Oder am fernen Gestade,

(… ganz weit weg)
Dass in Stunden der Not

(Huch – oh Schreck! Sowas gibt’s auch?)
Auch die Hilfe bereit sei,

(hier werden Sie geholfen)
Einen ruhigen Freund,
(jaja, immer die anderen, die was tun müssen)
O segnet, Götter, unsern Pylades

(Unser Held!)
Und was er immer unternehmen mag

(Falls er je mal was tut)
Er ist der Arm des Jünglings in der Schlacht,

(er wird bewegt … tut aber nichts selbst)
Des Greises leuchtend Aug’ in der Versammlung:
(Bis ins Grab)
Denn seine Seel’ ist stille; sie bewahrt

(In der Ruhe liegt die Kraft vor dem Umfallen)
Der Ruhe heil’ges unerschöpftes Gut,

(Braves Volk, so lob ich’s mir!)
Und den Umhergetriebenen reichet er

(… die Ärmsten!)
Aus ihren Tiefen Rat und Hilfe. Mich
(der Erlöser)
Riss er vom Bruder los; den staunt’ ich an
(alles nur für sich nehmend)
Und immer wieder an, und konnte mir

(immer wieder)
Das Glück nicht eigen machen, ließ ihn nicht

(aber nichts dafür geben!)
Aus meinen Armen los, und fühlte nicht

(andere dürfen auch nichts erwarten, vor allem Gefühle)
Die Nähe der Gefahr, die uns umgibt.
(Junge, du spielt ein gefährliches Spiel!)
Jetzt gehn sie, ihren Anschlag auszuführen,

(Na, das dauert nicht mehr lange)
Der See zu, wo das Schiff mit den Gefährten,

(Das Wasser steht bis zum Hals)
In einer Bucht versteckt, aufs Zeichen lauert,

(Es braut sich was zusammen)
Und haben kluges Wort mir in den Mund

(Dummschwätzer!)
Gegeben, mich gelehrt, was ich dem König

(Nur nicht selber denken und antworten!)
Antworte, wenn er sendet und das Opfer

(aber Opfer bringen lassen)
Mir dringender gebietet. Ach! Ich sehe wohl,

(Das ist das Heil der Welt)
Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind.

(Für dumm verkauft glauben machend)
Ich habe nicht gelernt, zu hinterhalten,

(Naivchen bevorzugt)
Noch jemand etwas abzulisten. Weh!

(Wehe!)
O weh der Lüge! Sie befreiet nicht,

(gutgläubig)
Wie jedes andre, wahrgesprochne Wort,

(Nicht Lügen heißt: Nichts sagen?)
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie ängstet

(Herz, sei stille)
Den, der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt,

(es sind der Anderen Probleme)
Ein losgedruckter Pfeil, von einem Gotte

(der Schuss …)
Gewendet und versagend, sich zurück

(… geht meist nach Hinten los)
Und trifft den Schützen. Sorg’ auf Sorge schwankt

(Dann haste den Salat!)
Mir durch die Brust. Es greift die Furie

(Es wird nicht schön)
Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder

(und keiner wird dir helfen)
Des ungeweihten Ufers grimmig an.

(auf diesem Schlachtfeld)
Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre

(Wo ist die Presse?)
Gewaffnete sich nahen! - Hier! - Der Bote

(Es geht los)
Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt

(Immer diese scheinheiligen Möchtegern-Götter!)
Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele,

(Du bist lebendig und doch schon tot)
Da ich des Mannes Angesicht erblicke,

(Der wahre Feind ist ein anderer)
Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.

(Auf, zur Lüge!)

aus Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris
(fertiggestellt 1786), IV. Aufzug, 1. Auftritt)


Shen Te
Ja, ich bin es. Shui Ta und Shen Te, ich bin beides.

(Der Mensch ist mehr als nur er selbst)
Euer einstiger Befehl

(Die Schuld ist Wahrheit)
Gut zu sein und doch zu leben

(und nicht vereinbar mit dem Leben)
Zerriss mich wie ein Blitz in zwei Hälften. Ich

(Der Mensch muss scheitern)
Weiß nicht, wie es kam: gut sein zu andern

(an der Moral)
Und zu mir konnte ich nicht zugleich.

(und an sich selbst)
Andern und mir zu helfen, war mir zu schwer.

(Mitleid macht hilflos)
Ach, eure Welt ist schwierig! Zu viel Not, zu viel Verzweiflung!

(jaja, die Verhältnisse)
Die Hand, die dem Elenden gereicht wird

(sie sind doch so!)
Reißt er einem gleich aus! Wer den Verlorenen hilft

(Wenn du anderen gibst)
Ist selbst verloren! Denn wer könnte

(wird dir bedenkenlos genommen)
Lang sich weigern, böse zu sein,
(das ist der Lauf der Welt)
Wenn da stirbt, wer kein Fleisch isst?

(Die Guten werden aufgefressen)
Aus was sollte ich nehmen, was alles gebraucht wurde? Nur

(Für sie bleibt nichts übrig)
Aus mir! Aber dann kam ich um! Die Last der guten Vorsätze

(Und sie tun dennoch Gutes, selbst …)
Drückte mich in die Erde. Doch wenn ich Unrecht tat

(… auch wenn sie daran kaputt gehen)
Ging ich mächtig herum und aß vom guten Fleisch!

(mit schlechtem Gewissen spielen sie mit)
Etwas muss falsch sein an eurer Welt. Warum

(und erkennen)
Ist auf die Bosheit ein Preis gesetzt und warum erwarten den Guten

(die wahren Werte)
So harte Strafen? Ach, in mir war

(ertragen Konsequenzen)
Solch eine Gier, mich zu verwöhnen! Und da war auch

(und können nicht aus der Haut heraus)
In mir ein heimliches Wissen, denn meine Ziehmutter

(die ihnen unbewusst vermittelt wird)
Wusch mich mit Gossenwasser! Davon kriegte ich

(durch die Gesellschaft)
Ein scharfes Aug. Jedoch Mitleid

(Argwöhnisch)
Schmerzte mich so, dass ich gleich in wölfischen Zorn verfiel

(mit Wut im Bauch dagegen ankämpfend)
Angesichts des Elends. Dann

(trotz der Widrigkeiten)
Fühlte ich, wie ich mich verwandelte und

(Sie spüren …)
Mir die Lippe zur Lefze wurd. Wie Asche im Mund

(… wie die Wirklichkeit zerfällt)
Schmeckte das gütige Wort, Und doch

(in Schall und Rauch)
Wollte ich gern ein Engel sein den Vorstädten. Zu schenken

(und träumen weiter)
War mir eine Wollust. Ein glückliches Gesicht

(den Traum vom Glück)
Und ich ging wie auf Wolken.

(Der siebte Himmel)
Verdammt mich: alles, was ich verbrach

(Der eigentlich der siebte Höllenkreis ist)
Tat ich meinen Nachbarn zu helfen

(auf Erden)
Meinen Geliebten zu lieben und

(im Herzen)
Meinen kleinen Sohn vor dem Mangel zu retten.

(und in der Zukunft)
Für eure großen Pläne, ihr Götter

(Ihr …)
War ich armer Mensch zu klein.

(… habt versagt!)

aus Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan
(entstanden 1930 bis 1942), 10 "Gerichtslokal

Wahrlich! Goethe und Brecht könnten verschiedener kaum sein! Also: Sucht Euch selbst einen Schluss.

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