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Wechselwirkung

In einem Tempel auf einem weit entfernten Planeten stand einst eine Statue auf einem Granitsockel, von der man sagte, sie sei das Ebenbild Gottes. Das Abbild des ewigen Schöpfers. Das Angesicht jenes höheren Wesens von dem alles Leben seinen Ursprung hat. Glück, Reichtum und Gutes war dem Volke beschert, das die Statue entsprechend den uralten Vorschriften pflegte und umsorgte. Übel, Krieg und Hass vernichteten hingegen jenes Volk, das die Statue nicht in Ehren hielt. Völker kamen und vergingen, wie die Jahre und die Zeit. Der große Schöpfer war schon längst weiter gezogen in ein anderes Universum, da herrschte in dem Land der Statue das große und weise Volk der Eloith. Frieden und Reichtum war diesem Volke beschert, denn seine Priester behandelten die Statue mit Aufmerksamkeit, Hingabe und Respekt.

Der Oberpriester Sechem bemerkte eines Abends im Monat der Ernte eine Veränderung an der Statue. Er war gerade dabei, sie von Staub zu befreien und blieb mit seinem Seidentuch hängen. Zerriss es fast. Neugierig blickte er auf den kleinen Finger, der sich merklich von der Hand der Statue abspreizte. Sechem wollte diese Veränderung nicht wahrhaben, also setzte er seine Arbeit mit doppeltem Fleiße fort.

Als er am Morgen mit seinen Gehilfen zurück kam, um die täglichen Opferspeisen vor dem Schöpfer auszubreiten, hatte die Statue eindeutig die Hand gehoben und der linke Fuß machte den Eindruck, zum ersten Schritt anzuheben. Die Gehilfen rannten schreiend davon und es dauerte nicht lange, da hatten sich alle hohen Priester bei der Statue eingefunden. Was mag das zu bedeuten haben? Ein Zeichen? Der Untergang? Eine große Diskussion brach los. Jeder hatte etwas zu sagen. Vieles wurde beraten, vieles wieder verworfen. Als der Abend anbrach und sich Sechem nach der Statue umdrehte, stieß auch er einen Schrei aus. Die Statue hatte ihren Sockel verlassen und stand ruhig zur Tür des Innenhofes zugewandt da.

Die Diskussion wurde lauter. Vernachlässigung machte die Runde. Größere und mehr Opfer wurden gefordert. Man schickte nach den bekanntesten Händlern mit den besten Waren. Sie hätten sich sofort im Tempel einzufinden. Es dauerte nicht lange, da kamen schon die ersten voll beladenen Packtiere. Die Waren wurden ausgebreitet und es wurde gebetet, bis alle müde eingeschlafen waren. Die aufgehende Sonne weckte die Schläfer. Parm, der Händler, rieb sich verschlafen die Augen, weil er nicht glauben konnte, was er das sah. Die Statue des Schöpfers stand bereits in der Tür. Wieder brach ein Geschrei an. Heftiger als am Abend zuvor. Die Opfer seien falsch, schlecht, minderwertig. Und es gebe Schuldige dafür: Die Händler. Talek, Oberpriester des Rechts beschloss, dass es hier nur eine Lösung gäbe. Man müsse den Händlern die Hände abschlagen um die Gunst des Gottes wieder zu gewinnen. So wurden sie alle eingefangen und zum großen Richtstein geführt. Vierunddreißig an der Zahl. Die Schmerzensschreie hallten durch den Tempel. Und niemand kümmerte sich um die Statue, die ruhig im Innenhof des Tempels stand. Sechs Talem vom großen Portal entfernt, als die Sonne wieder unterging.

Selok, der Weise, kam an diesem Abend auf eine große Idee: Acht starke Männer sollten die Statue wieder auf ihren Sockel stellen. Man beriet und benickte den Vorschlag einstimmig. Die Männer wurden aus dem nahe liegenden Dorf herbeigeholt und angewiesen, die Statue wieder ins Allerheiligste zu schaffen. Die Männer aus dem Dorf wunderten sich über das, was von Ihnen verlangt wurde doch sie taten, wie man sie angewiesen hatte. Aber so sehr sie sich auch abmühten, die Statue ließ sich keinen Jota bewegen, denn sie barg das Gewicht von allem in sich. Erschöpft sanken sie nach einiger Zeit zu Boden. „Wir können sie nicht einfach wieder gehen lassen. Es wird Gerüchte geben, die nicht gut für uns sind!“ sprach Selok. Da nahm Talek eine große Axt zur Hand und schlug den Acht im Schlaf die Köpfe ab. Man verscharrte ihre Kadaver hinter der Milchhütte als der Morgen graute. Und da niemand daran dachte, die große Pforte zu verschließen, trat die Staute unbemerkt in die Freiheit.

Die Menschen im Dorf wunderten sich, wo denn ihre besten Männer geblieben waren und so beschloss Aris, die Ortsvorsteherin, selbst zum Tempel zu gehen und nach dem rechten zu sehen. Als auch sie nicht wieder auftauchte entstand Unruhe im Volk. Die Zeit verging und die Unruhe nahm zu. Die Priester der Eloith beschlossen, die Rädelsführer einzufangen um ihnen ihre Macht zu demonstrieren. Man band sie und schleppte sie ins Allerheiligste. Dort wurden sie vor dem leeren Granitsockel niedergeworfen. „Sieh das Angesicht des Großen Schöpfers!“ sprach Sechem, während Talek hinter dem Gebundenen mit dem Schwert stand. „Aber da ist ja gar nichts!“ sprach Eloki aus dem Süden. Seine letzten Worte, bevor ihn das Schwert durchbohrte. Ebenso Tarim, Kasumi und Atai. Nur Solami, der sich das Schauspiel ungerührt angesehen hatte, sprach als die Frage an ihn gestellt wurde: „Oh herrlicher Schöpfer. Solch Mut im Ausdruck. Solch Weisheit im Innern und solch Mitleid in den Augen! Wahrlich, ihr seid die Größten, solch Anblick täglich zu genießen.“ Man ließ ihn gehen und gab ihm einen Beutel Gold mit.

Die Zweifel im Volke der Eloith ließen jedoch nicht nach. Unruhe beherrschte das Land. Die Priester erließen neue Gesetze, die sich ausnahmslos mit Verrat beschäftigten. Qual und Tod durchzog das Land. Der Schrecken herrschte über Jahre und die Priester glaubten nur noch an ihre Macht. Da kam eines Tages das Volk der Sentai über das Meer gefahren. Am Strand sahen sie eine Statue stehen. Kinder umtobten sie lachend im Spiel. Alifi, der Führer der Sentai, stieg aus seinem Boot, beobachtete die Kinder eine Zeit lang und sprach dann ein kleines, besonders wild umherhüpfendes Mädchen an: „Was tut ihr da?“ Die Kleine blieb verwundert stehen und holte Luft: „Wir spielen mit dem komischen Baum da!“ japste sie und hüpfte lachend weiter.

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