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Feiglinge

Der Held unserer Zeit ist der Feigling. Er rennt heutzutage nicht mehr vor den Problemen davon. Nein, seine Methoden sind diffiziler geworden. Er weiß, dass da ein Problem ist, ja, er starrt es sogar an. Doch beschließt er für sich selbst, es nicht zu sehen. Da er es kaum leugnen kann, muss er es für andere sichtbar machen. Er kann es detailliert und laut beschreiben, wenn die Medien ihm Aufmerksamkeit entgegen bringen. Und er appelliert in diesen an die Verantwortung der Anderen, dieses Problem zu lösen. Er selbst rührt sich nicht. Starr vor Angst verweist er auf seine anderen Aufgaben. Dieses Verhaltensmuster hat er sich aufgeprägt. Und bei seinen anderen Aufgaben verhält er sich nicht viel anders. Anstatt seine Verantwortung selbst wahr zu nehmen, redet er den Anderen ein, es sei ihre Aufgabe.

Man stelle sich vor: Savanne, Afrika, vor 25.000 Jahren, kleine Strohhütte am Rande eines kleinen Dorfes. Darin Inshah, die gerade die fünf Kinder betreut, Essen kocht, nebenbei die Hütte aufräumt und das vom Vortag geerntete Getreide mahlt während sie gleichzeitig die Abendmilch verarbeitet. Vor der Hütte Semu, rauchend, den Sonnenuntergang genießend, auf der vergeblichen Jagd am Tage die neuesten Dorfentwicklungen besprochen, geschafft von Denken und Handeln. Da plötzlich: Ein Geräusch. Ein Rascheln aus dem Gebüsch links hinter ihm. Semu dreht sich um. Gelbe Augen blicken aus einer zotteligen Mähne hervor. Hungrig. Die rosa Schnauze wird feucht vom Geruch des anstehenden Fressens. Ungläubig starrt Semu in den Busch. Plötzlich ein Schrei: „Inshah!“ „Ja, was ist?“ klingt es dumpf aus der Hütte zurück. „Ein Löwe – hier im Gebüsch!“ Kinder fangen an zu weinen. „Moment!“ Ein undefinierbares Geräusch, dann ist es still. Doch wer genau hinhört, hört leise Schritte. Plötzlich rennt eine vermummte Gestalt schreiend auf das Gebüsch zu. Dem Löwen bleibt das Herz stehen. Als er seine Beine wieder spürt, nimmt er selbige in die Pfoten und rennt los. Nur weg von hier. Weit weg. Semu beobachtet das Geschehen mit Genugtuung und ist stolz auf seine Heldentat: „Sag, Weib, ist mein Abendessen endlich fertig?“ Inshah befreit sich von den Lumpen, in die sie sich gehüllt hat: „Sofort, mein Herr!“

Ja, wir können stolz sein auf unsere männschlichen Errungenschaften, auf unsere unüberlegt entwickelte Kultur und auf unseren Nutzen bringenden Umgang mit Anderen. Inshah und Semu leben schon lange nicht mehr. Löwen sterben langsam aus. Alles, was geblieben ist, sind Feiglinge, die zwar unter ihresgleichen vor Feinden davonrennen, aber ansonsten handeln, wie es ihrem Stammhirn entspricht: Überlegen.

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