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Abrechnung mit den Vätern

Es ist an der Zeit, dass die Zwischenbrut sich im Sinne des Alt-68’ers etabliert und anfängt, mit der Väter-Generation abzurechnen. Mit denen, die alle Werte um des Schwanzes Willen verraten haben. Mit denen, die keine eigenen Vorstellungen entwickeln konnten und die sich doch irgendwie mit vorgeschobener Moral aufrecht erhalten haben – vorwiegend in einem begrenzten Teil des Körpers. Und damit meine ich nicht das Rückrat.

Im Sinne der Gewalt und des Terrors erzogen, haben sie uns ihr Weltbild aufgeprügelt oder subtil untergeschoben. Je nachdem, wie sie in der Öffentlichkeit dastehen wollten. Sicher war nur eins: Unsere Wertlosigkeit. Begründet mit unserer Existenz, unseres Aussehens, unserer neugierigen Art, unserem eigenen Denken, unserer Meinung, unserem Wissen. Was wir auch taten, war falsch. Weil wir falsch waren. Wer von uns entsprach schon dem vollendeten, arischen Gutmenschen, der doch noch so tief im Unterbewusstsein saß? Wir waren nur Kinder und entsprachen noch Niemandem.

Disziplin und Schweigen prägte unsere Erziehung. Bei uns wurde nicht geredet. Entweder wir funktionierten oder wir wurden mit Verachtung gestraft. Mit körperlicher oder seelischer Verachtung. Zu dieser Zeit etablierte sich gerade die Tierschutzbewegung und man glaubte noch allen Ernstes, Kinder empfinden keinen Schmerz. Irgendwann glaubten wir es selbst und haben uns einen Kokon gewebt, an dem - wie wir glaubten - die Schmerzen abprallen.

Man wirft uns vor, verwöhnt zu sein. Das Wirtschaftswunder begann zu greifen. Wir hatten Rollschuhe, Hula-Hupp-Reifen, Legosteine und drei Mal täglich etwas zu essen. Wir konnten in die Schule gehen und eine Ausbildung machen. Letztere endete für viele von uns in der Karriere eines überqualifizierten Taxi-Fahrers, eines Hartz-IV-Empfängers oder als Klofrau. Das ist ein anderes Kapitel und doch haben unsere Väter dies stets als schwebende Axt über unseren Köpfen herbeigeredet. Selbstverständlich wären wir daran selber schuld, wenn es so käme. Welch eine vorausschauende Weitsicht.

Dann traten sie in das Leben unserer Väter, diese „verlausten Hippies“. In der Öffentlichkeit wurde gehetzt, geschimpft und gelästert. Eine leise Bewunderung baute sich auf und zerstörte ab Mitte der Siebziger Tausende von Familienbildern. Nicht Familien. Das, was man zu dieser Zeit noch Familie nannte, war mehr oder weniger eine Zweckgemeinschaft der gemeinsamen Kontoführung. Liebe war noch eine geistige, nicht eine körperliche Vorstellung. Das Paarungsverhalten spielte sich vorwiegend samstagnachts ab. Wenn wir, die Kinder, schliefen. Im Sinne der Kirche und der Moral. Diese kläglichen Überreste wurden in den frühen Siebzigern über den Haufen geworfen. Plötzlich dachten unsere Väter nicht mehr mit dem Hirn sondern mit dem Schwanz. Und wenn die Bedürfnisse nicht zu Hause befriedigt wurden, ging Mann, legitimiert durch die neue, sexuelle Freiheit, aushäusig betteln. Was zu Hause im Bett lag, vertrocknete und musste sich die Flüssigkeit anderweitig zuführen. Dazu eignet sich entweder ein anderer Bettgefährte oder Alkohol. Für diejenigen, die an der Tatsache ihrer verratenen Werte scheiterten, blieb nur der Alkohol. Das geht ans Herz und ans Hirn. Dem Wahnsinn entkommen, um sich in den Wahnsinn zu flüchten. Das Schweigen wird endgültig, wenn die Luft in der über den Kopf gezogenen Plastiktüte ausgeht. Jahrzehnte später, wenn sich Mitleid längst erübrigt hat.

Ab Anfang der Achtziger Jahre hatten wir schließlich eine wirklich überragende Auswahl an Optionen. Alle Vernichtungswaffen waren auf uns gerichtet. Auf der Welt oder Zuhause. Ein falsches Wort über Fairness, Loyalität oder Betrug und wir fingen Schläge mit dem Gürtel ein. Ein falsches Wort über Verzweiflung, Feigheit oder Durchhalten und wir wurden mit einem Besen schlagend durchs Haus geprügelt. Es zerbrach, was zerbrechen musste. Wir dachten, wir hätten endlich Ruhe und mussten feststellen, dass wir zur Benutzung erst freigegeben wurde. Dein Kind, mein Kind. Wir wurden verschoben, wie es die Unterhaltszahlungen oder die Steuerpauschalen zuließen. Wie es uns dabei ging, interessierte niemand. Kinder empfinden keinen Schmerz. Selbst das deutsche Rechtswesen ließ uns nur die Wahl des kleineren Übels. Die Sturheit Einzelner drückte sich in Raumbenutzungszeiten aus. Pinkeln nur von Acht bis Zehn. Vielleicht pissen wir deshalb alles an, was uns einschränkt.

Acht Jahre Hölle endete mit vergeblichen Toden, einem zerbrochenen Weltbild und der Verleugnung unserer eigenen Bedürfnisse. Einem Esel gleich, der eine Karotte vor seiner Schnauze hat, rennen wir dennoch jeder Gelegenheit hinterher, mit der man uns ködert. Auf Reinfall konditioniert. Einfach zu manipulieren, mit dem, was uns wichtig ist und wir immer wieder vergeblich versuchen, aufzubauen. Wir haben gelernt, dass Werte sich ändern. Geld ist härter als Liebe. Macht ist besser als Vertrauen. Verrat ist legitimierter als Glaube. Wir wissen, dass Werte wertlos werden - für den, der daran festhält. Wir wissen es und rennen dennoch den Werten unserer Kindheit hinterher. Den Träumen von einer heilen Welt. Wenn es sie schon außerhalb nicht gibt, müssen wir sie wenigstens in unserer Erinnerung bewahren. Eine Erinnerung an eine Zeit, in der Kinder keinen Schmerz empfinden.

Ja, wir sind verwöhnt. Verwöhnt mit Härte an uns selbst. Wir geben wahrlich ein armseliges Bild ab. Einem Supermenschen gleich müssen wir jeden Tag aufs Neue um unser Überleben kämpfen. Dabei rollen wir, Sissiphos-gleich unseren Stein immer wieder über unsere zerbrochenen Maßstäbe hinweg. Jeden Tag wieder. Ab und an kommt ein neuer Maßstab hinzu, der ebenfalls überrollt werden muss, bis nur noch Staub übrig bleibt. Maßstäbe sind sich so ähnlich und entsprechen keinesfalls unsere Ideen und Vorstellungen. Maßstäbe sind Menschen. An sich ohne Wert. Nur die Skalierung gibt ihnen Berechtigung. Aber nicht, um uns zu messen. Wir sind maßlos – wie der Schmerz, den wir empfinden. Wir sind erwachsen geworden. Mit oder ohne eure Hilfe. Danke dafür. Jetzt brauchen wir euch nicht mehr.

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